Integration, Identität und die Frage nach der wahren Heimat: Seit Jahrzehnten sind diese Themen im Diskurs unserer Gesellschaft. Diversität wird immer größer und so auch die Debatten rund um das Thema. Am 23. November 2018 kochte dieses Thema wieder auf. Dieter Bohlen hat ein kleines Mädchen mehrmals gefragt, woher sie komme. Mit diesem Gespräch hat der Juror für großen Wirbel gesorgt. Welche Gefühle kamen bei Ihnen hoch, als Sie davon hörten?
Vanessa:Ich war irritiert, dass wir die Debatte schon wieder führen. Für mich wurde zu dem Thema in den letzten Jahrzehnten schon alles gesagt. Entsprechend wenig Lust hatte ich, mich überhaupt einzumischen. Erst nachdem sich viele meiner Kollegen sehr emotional mit der Frage beschäftigt haben und mit dieser Frage an mich herangetreten sind, habe ich gemerkt: Da ist doch noch was, vielleicht sollte ich einige Dinge klarstellen.
Einen deutschen Vornamen, die eigene Herkunft verschweigen und deutschen Kindern Nachhilfe geben im Fach Deutsch: In deinem Artikel „Meine Schrottcontainerkindheit“ berichtest du über deinen Weg zur Assimilation. Wie zum Beispiel, dass du dich jahrelang beweisen musstest und Deutsch sein wolltest, warum?
Vanessa:Was ich mir als Kind früher gewünscht habe, ist normal zu sein und dazuzugehören – wie alle anderen Kinder. Gleich viel Spaß und gleich viele Möglichkeiten haben. Ich kannte Wörter wie Rassismus und Diskriminierung noch nicht, habe aber verstanden, dass es nur einen Weg zum Ziel gab, und der war: deutsch, blond und weiß sein. Ich hörte ständig komische Fragen und Vorurteile und wollte beweisen, dass ich alles, was die Weißen können, genauso kann oder sogar besser. Die Strategie hat für mich persönlich funktioniert, andere sind damit gescheitert. Für die Zukunft wünsche ich mir deswegen, dass Kinder mit egal welcher Herkunft selbstverständlich dazugehören können und gleich viele Chancen bekommen. Anerkennung sollte an das Menschsein geknüpft sein, nicht an die Hautfarbe oder die Leistung.
Zurück zum #vonhier. Kritiker sagen, dass die Woher-Kommst-Du-Frage nicht rassistisch sei, sondern eher reine Neugier, die in ethnisch und kulturell diversen Gesellschaft normal sei. Wie stehen Sie dazu?
Vanessa: Mir ist es egal, wie Leute die Frage meinen und ich habe auch kein Problem mit der Frage an sich. Was ich sage, ist: Ich habe verknüpft mit dieser Frage sehr schlechte Erfahrungen gemacht, weswegen ich diese Frage als eine sehr persönliche empfinde. Ich wünsche mir, dass die Leute Betroffene in ihrem Schmerz einfach mal anerkennen und mehr Rücksicht nehmen. Ich höre diese Frage seit 27 Jahren bei jeder denkbaren Situation, das ist zu viel. Ich will diese Frage einfach nicht mehr im Smalltalk hören.
In deinem Artikel „Keine Antwort schuldig“ beharrst du auf deiner Meinung, dass du den Woher-kommst-du Fragenden keine Antwort schuldig bist und dich die Besessenheit der Deutschen, jedes Detail wissen zu wollen, nervt. Worin genau liegt die Begründung?
Vanessa: Mir ist wichtig, in dem Kontext gewisse koloniale Kontinuitäten zu betonen. In vielen Kulturen hat Fragen mit Macht zu tun. Eine Person mit Macht darf eine Frage stellen und eine Person mit weniger Macht hat diese Frage zu beantworten. Das ist eine globale, historisch gewachsene Dynamik, die sich im ganz Kleinen in der Woher-Kommst-Du-Frage wiederspiegelt. Es ist ja nicht so, als ob wir, die sichtbare Minderheit, auf die anderen zugehen würden und die Frage stellen würden und zwanzig Mal nachfragen, obwohl sie keine Lust haben. Indem ich eine Antwort verweigere, durchbreche ich diese Machtasymmetrie. Viele reagieren darauf sehr emotional. Sie sind gekränkt, dass ich mich nicht unterwerfe. Dass ich ihre als Smalltalk-Frage getarnte Stammbaumkontrolle ablehne. Dass ich mich im Grunde auf Augenhöhe begeben habe. Die Reaktion zeigt für mich, dass die Frage eben nicht beiläufig und unschuldig ist, sondern sehr viel mit Macht zu tun hat.
Was würdest du dir wünschen, damit Integration mehr gelingt?
Vanessa: Als allererstes würde ich mir wünschen, dass die Diskussionskultur ein bisschen empathischer und rücksichtsvoller wird. Dass diejenigen, die Diskriminierung erleben, angstfrei über ihren Schmerz sprechen können und in diesem Schmerz anerkennt werden. Ganz grundsätzlich wünsche ich mir, dass das Thema Rassismus mehr in den Mainstream kommt. Wir haben dieses Wissen und trotzdem findet es nicht Eingang in Lehrpläne: Kitas, Schulen, Universitäten, Arbeitsplätze. Ich wünsche mir, dass man da gezielt Anti-Rassismus-Trainings macht und strukturell was verändert.
Das Interview führte Petra Görner.
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