In unserer heutigen Zeit hat die Mode einen großen Einfluss auf Kulturen und Traditionen. Dabei entstehen sogenannte Schönheitsbilder, die das Denken der Menschen negativ beeinflussen können. Ihre Mentalität kann dadurch ins schwarze Loch fallen. Mentale Gesundheit ist ein wichtiges Thema, welches viel zu wenig beleuchtet wird. Viele Menschen sind Opfer psychischer Erkrankungen. Doch wie wäre es diesem Thema durch Mode mehr Aufmerksamkeit zu schenken? Eine Verbindung zwischen Mode und der Aufklärung mentaler Gesundheit zu schaffen? Nicht möglich? Martina und Ihr Team beweisen das Gegenteil: Mit ihrer Kollektion setzen sie nicht nur ein Zeichen für soziales Engagement in der Modeszene, sondern entwickeln zusätzlich durch ihre Kollektion „Introspection“ ein Sprachrohr für psychisch erkrankte Menschen, die in ihrem Land keine Stimme mehr haben. Am Samstag den 11.11.2017, fand ihr erstes Event „Brain-Talk – Fashion meets Mental Health statt. In einem wunderschönen Ambiente wurde das Thema der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen diskutiert. Auch Betroffene kamen zu Wort und haben zusätzlich in kleinen Gruppen ihre ergreifenden, persönlichen Geschichten erzählt. Im Anschluss wurde ein kurzer Einblick auf die Gründung des Labels „The Seeed“ und ihre Arbeit in Kooperation mit dem Verein „On the Move e.V. geschaffen. Ein inspirierendes und berührendes Erlebnis. Eine wundervolle Frau mit einer tollen Vision und heute habe ich die Ehre sie interviewen zu dürfen.
Frau Offeh, erst einmal vielen Dank, dass sie sich Zeit für mich genommen haben. Wir kennen uns ja schon durch Freunde, duzen darf ich Sie doch bestimmt, oder? (lacht)
Martina Offeh: Liebend gerne. Und selbstverständlich darfst du das! (lacht)
Vorab muss ich dir ganz laut applaudieren! Du hast eine wundervolle Veranstaltung am Samstag gestaltet! Ich fand es sehr toll. Danke nochmal für die Einladung! Gab es in der Veranstaltung Überraschungen? Besondere Erlebnisse für dich persönlich?
Martina Offeh: Herzlichen Dank! Was ich wieder lernen durfte ist, dass man als Veranstalter nie richtig weiß wie die Veranstaltung ausgehen wird beziehungsweise wie die Inhalte ankommen werden. Es war für mich besonders schön zu sehen, dass die Leute die Inhalte wirklich aufgenommen haben. Und zusätzlich eine so positive Resonanz folgte. Wir haben innerhalb der Vorstellung erzählt, dass wir im März nächsten Jahres in Ghana sein werden und dort unsere Förderprojekte umsetzten wollen. Dann von drei Gästen zu hören, dass sie Lust hätten dabei zu sein im März, war unglaublich. Dies hat mich bei der Veranstaltung besonders berührt.
In der Veranstaltung ging es hauptsächlich auch um „Introspection“, deine erste Kollektion. Mode trifft auf soziales Engagement. Wie ist die Idee einer solchen Modekollektion entstanden? Und was genau verbirgt sich hinter dieser Kollektion?
Martina Offeh: Bei der ersten Kollektion „Introspection“ geht es um das Thema Selbstreflexion. Und der Slogan dafür ist: „Der Blick in das Innere“. Und was wir uns da gedacht haben ist, das Thema Mode mit dem Thema Mental Health zu verbinden. Nämlich auf eine sehr besondere Art und Weise. Zum einen haben wir dadurch die Möglichkeit die Geschichten von 8 Individuen zu erzählen, die aufgrund ihrer mentalen Gesundheit wirklich sehr leiden. Sie werden isoliert, entmündigt, ausgegrenzt. Und dann haben wir uns überlegt: „Ok, wie können wir diese Problematik auf eine authentische und effektive Art kommunizieren?“ Und so ist uns beim Brainstorming und auch durch verschiedene Ansätze die Idee gekommen, zu sagen: „Hey, wir kreieren eine Modekollektion, die man nutzt, um die Geschichten der Individuen zu erzählen. Deshalb findet das Portrait als auch die Geschichte der einzelnen Betroffenen tatsächlich einen Platz in der Jacke. Man bekommt somit wortwörtlich das Schicksal einer einzelnen Person mit. Es ist nicht nur ein Fashionitem und sieht gut aus, sondern es hat eine Geschichte. Und ich finde genau dort sollte die Modebranche hin. Denn wir sehen heute, dass die Mode den „Streetwear“ zum Beispiel immer mehr reflektiert. Warum? Weil die Leute sagen: „Ich möchte mich in der Kollektion oder auf dem Laufsteg wiederfinden.“ Und deswegen glaube ich, dass das tatsächlich eins der innovativsten Art und Weisen ist die Modebranche neu zu definieren. Also, aus der Mode wieder ein Spiegel zu machen und genau das machen wir mit unserer ersten Kollektion „Introspection“.
Auch unterschiedliche Patienten, welche psychisch erkrankt sind oder waren haben ihre persönliche Geschichte bezüglich ihres Krankheitsbildes erzählt. Hast du diese Patienten selbst ausgewählt?
Martina Offeh: Während der Veranstaltung hatten wir drei Betroffene und es war auch sehr spannend für mich zu erleben, wie diese Teil unserer Veranstaltung geworden sind. Wir sind nämlich schon lange mit dem UKE im Kontakt. Dann hatten wir ihnen unsere Idee genannt und sie waren sehr supportive und haben sich sofort zur Verfügung gestellt. Daraufhin haben wir uns gefragt, welche Betroffene wir miteinbeziehen können, um diese Veranstaltung authentisch und lebensnah zu gestalten. Das schöne ist, dass zwei von den Betroffenen ehemalige Patienten der Psychiatrie des UKEs sind. Mittlerweile haben sie eine Ausbildung absolviert und sind Genesungsbegleiter, sprich das sind Mentoren für Menschen, die jetzt in der Psychiatrie sind und nun Begleitung brauchen. Und zwei davon haben sich freiwillig gemeldet. Das waren Stefanie und Martin. Und dann wollte ich natürlich, da das Thema Fashion meets Mental Health ist, auch jemanden haben der in der Modebranche tätig ist. Und das witzige ist, ich habe mit einem Freund gesprochen und ihn gefragt, ob er nicht jemanden kennt. Und seine Antwort war: „Du, ich bin selber Epileptiker.“ Und das hat natürlich perfekt gepasst. Und deswegen war es eine Mischung aus beidem: Leute, die einem zugespielt worden sind und Leute, die man in seinem eigenen Umkreis hat.
Schönheit ist der Kernpunkt der Mode. Mit „The Seeed“ soll eine Brücke zwischen Kultur, Tradition und herrschenden Gesellschaftsbildern geschaffen werden. Ist das heutige Schönheitsbild eine Gefahr für das Streben nach mentaler Gesundheit?
Martina Offeh: Ich glaube, das ist eine sehr relevante aber auch gut formulierte Frage. Ausfolgendem Grund: wenn wir von mentaler Gesundheit sprechen, sprechen wir von dem was in meinem Verstand passiert. In meinem Verstand ist das der Sitz für meinen Intellekt, meinen Willen, meine Wünsche, mein Streben und auch für meine Emotionen. Das Traurige ist, das Fashion nicht nur Kleidung und Mode ist, sondern es ist ein Zeitgeist. Das bedeutet, dass es alles beinhaltet, was die jetzige Zeit mit sich bringt. Und gerade, wenn man sich die Jugendkultur anguckt werden über die sozialen Medien ganz viele Images propagiert. Schönheitsbilder, die als Ideale gelten – mit denen man sich dann misst. Und ich bin mir sicher, dass wenn man etwas sieht, welches kollektiv als richtig und schön angesehen wird und man da aus dem Raster fällt, fangen (Selbst-) Zweifel und Komplexe an. Und dies kann einem sehr nah gehen. Die Gesundheit wird auf zwei Wegen beeinträchtigt. Entweder durch genetische Dysfunktionen oder durch umweltliche Einflüsse. Mode und propagierte Schönheitsideale spielen hier eine große Rolle. Insbesondere, wenn es hier alleinig um oberflächlich gemessene Ideale geht.
Auch ist Schönheit sehr schwer wegzudenken in der Mode. Was hat dich dazu bewegt Mode mit mentaler Gesundheit zu verbinden?
Martina Offeh: Zum einen, muss ich sagen, als ich zum ersten Mal auf den Gedanken gekommen bin, habe ich zwei Wochen lang darüber nachgedacht und überlegt: „Ist das zu Paradox, ein Thema, welches zu kontrovers ist?“ Und ich weiß noch als ich meine Schwägerin davon erzählt habe. Und sie meinte zu mir: „Martina, das ist genial.“
Warum aber das Ganze? Mein Ziel mit der Mode war es schon immer sie zu nutzen, um Geschichten zu erzählen und das war auch immer meine Sicht von Mode. Wenn man sich Mode in den 50-er Jahre anguckt, wo die deutsche Frau zum ersten Mal Denims getragen haben. Dann liegt es daran, dass durch die vorangegangenen Weltkriege ein solcher Umschwung entstanden ist, dass Frauen sich um die Arbeit bzw die Ämter der Männer kümmern mussten, weil ihre Männer verstorben oder verletzt waren. Und das ist im Grunde die Geschichte der Denim. Die Denim ist mehr als eine Hose, vielmehr ein Statement, mit enormer kultureller und historischer Relevanz. Und ich habe mir schon immer gesagt, wenn ich Mode machen sollte, dann etwas sozial und kulturell Relevantes! Und ich glaube, dass das Thema Mental Health den aktuellen Zeitgeist trifft. Da wir solange über mentale Gesundheit geschwiegen haben, erlebt die Thematik nun einen Höhepunkt. Beispiel: Adwoa Yeboah, die mittlerweile sowas wie eine Botschafterin für das Thema Mental Health ist – großartig! Sie und ihr Gurlstalk Team sprechen relevante und lange nicht kommunizierte Themen an. Und ich glaube da müssen wir generell wieder hinkommen. Und wenn es so viele Betroffene gibt (In Deutschland laut Statistik jeder 3.), ist es ein Zeichen dafür, dass sie eine Stimme brauchen.
Nun bist du nicht die einzige, die hinter dieser wundervollen Kollektion steckt. Wer verbirgt sich noch hinter der Kollektion und dem Label?
Martina Offeh: Ich arbeite seit 2017 mit einem unglaublich begabten Modedesigner zusammen – Musa Simone. Ich bin die Geschäftsführerin des Labels und er ist der Creative Director. Er kümmert sich um die Kollektion und alles was damit einhergeht. Ich habe ja vorhin erzählt, dass wir einige Förderinitiativen in Ghana umsetzten wollen. Und da ist der Verein On The Move e.V ganz stark mitbeteiligt. Das medizinische Institut UKE ist auch dabei sowie interne Projektkoordinatoren, und zwar einmal Daisy Tanja Scheffler und Phillip Harms, die sich um die interne und externe Kommunikation kümmern. Dann haben wir noch Projektpartner in Ghana. Wir sind also gut aufgestellt und zusammen ziehen wir an einem Strang.
Zusammen mit On the Move e.V. entstand die Kollektion „Introspection.“ Diese Kollektion steht in Verbindung mit dem afrikanischen Land Ghana. Wie wird in Ghana mit dem Thema psychische Erkrankung umgegangen?
Martina Offeh: Als ich das erste Mal darüber recherchiert habe und das gehört habe, war ich sehr schockiert. Aber das Wissen, welches ich mir daraus gezogen habe, war dann auch der Impuls dafür dieses Thema auszuwählen. Es ist einfach so unglaublich Menschen unwürdig und sehr grenzwertig. Aber man muss vorwegnehmen, dass viele Menschen dort wenig über psychische Erkrankung wissen und deswegen auch von einer Dämonisierung ausgegangen wird. Menschen werden von ihren Familien isoliert, angekettet und gefoltert. Man sieht in Ghana viele psychisch erkrankte Menschen die Obdachlos werden. Warum? Weil sie aus ihren Häusern geworfen werden. Und das sind alles nur kleine Eindrücke von dem Leben eines psychisch Erkrankten. Genau das war dann unser Ansporn zu sagen: „Genau in diese Richtung wollen wir arbeiten und investieren.“
Soziales Engagement trifft auf Mode. Eine sehr starke Verbindung, welche zum Nachdenken anregt. Was sind deine Zukunftsaussichten mit „The Seeed“?
Martina Offeh: Selbstverständlich wünsche ich mir für „The Seeed“, dass es internationale Bekanntheit generiert. Aber noch viel mehr erhoffe ich mir, dass durch und mit „The Seeed“ in der Zukunft die Menschen zum Nachdenken angeregt werden, das eine Umwälzung stattfindet und dass es eins der Pioniere ist, wenn es darum geht nachhaltige Mode zu kreieren. Mir geht es da nicht primär um die ökologischen Faktoren, sondern um die ethischen Faktoren, die damit einher spielen. Ich glaube, dass Mode ein ganz wichtiger Faktor dafür ist, wodurch eine Gesellschaft Veränderung erleben kann. Und wenn wir es schaffen mit „The Seeed“ dafür zu sorgen, dass Menschen in ihrer Gesinnung angeregt werden wieder kritisch zu sein, dann denke ich haben wir unseren Job erfüllt.
Martina, vielen Dank für das Interview! Es war wirklich sehr informativ und sehr berührend! Ich wünsche dir weiterhin ganz viel Erfolg mit deinem Label!
Martina Offeh: Ich danke dir ganz herzlich für die Einladung!
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